Die Konferenz der 16 Landessportbünde hat sich in ihrer digitalen Herbsttagung am 25. September 2020 in München gemeinsam mit Präsidium und Vorstand des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) intensiv mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie beschäftigt. Der Sport in Deutschland mit seinen 90.000 Vereinen erlebt in der anhaltenden, globalen Corona-Pandemie die größte gesellschaftspolitische und ökonomische Herausforderung seit 1945. Die Pandemie hat viele Selbstverständlichkeiten in unserer Gesellschaft und damit auch im Sport in Deutschland ins Wanken gebracht und stellt abhängig von der Dauer der Krise in vielen Bereichen sogar die Zukunftsfähigkeit des organisierten Sports in Frage.
Der DOSB und die Landessportbünde sehen mit großer Sorge die Entwicklung des Infektionsgeschehens. Wir appellieren an alle unsere Mitglieder, Vereine und Verbände, die in unserer Verantwortung liegenden Abstands- und Hygieneregeln weiterhin konsequent einzuhalten. Die von unseren Vereinen und Verbänden erarbeiteten Hygienekonzepte sind beispielgebend und ihre Umsetzung ein wichtiges Signal, über den Sport hinaus alles zu tun, um die Pandemie einzudämmen und die Gesundheit aller zu schützen.
Sportvereine – Motoren für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Gesundheit
Der Wert des Sports für unsere Gesellschaft bemisst sich ganz besonders auch in der Bereitstellung von einmaligen Gemeinschaftserlebnissen. Dies gilt sowohl für den Spitzen- wie auch für den Breitensport. Denn Gemeinschaft bedeutet in den rund 90.000 Sportvereinen in Deutschland insbesondere den intensiven persönlichen Austausch unter Menschen. Dieses unmittelbare Erleben von Nähe war unter Pandemiebedingungen zunächst eine Zeit lang vollständig untersagt und gelingt inzwischen sukzessive wieder, jedoch auf Grund der gebotenen Distanz nur mit deutlichen Abstrichen. Auch für viele weitere wertvolle gesellschaftliche Leistungen des Sports wie Integration, Inklusion, Sport für Ältere, Kinder- und Jugendarbeit, Bildung, Gesundheit, gelebte Demokratie etc. bleibt im Krisenmodus nur wenig Raum. Von einem voll-umfänglichen Angebot des gemeinnützigen Sports an die Gesellschaft sind wir aktuell leider noch weit entfernt. Insbesondere bereitet die Mitgliederentwicklung in allen Altersklassen Sorge, vorrangig im Kinder- und Jugendsport. Besonders der Wegfall oder die vorübergehende Aussetzung des Wettkampfgeschehens, sowie derzeit häufig weiter eingeschränkte Trainingsmög-lichkeiten sind hier von Bedeutung.
Die Corona-Pandemie bringt aber auch die einmaligen Stärken der großartigen Solidargemeinschaft von Sportdeutschland hervor. Insbesondere kleine Vereine sind in den letzten Monaten aufgrund ihrer ehrenamtlichen Strukturen relativ robust durch die Krise gegangen. Unsere Sportvereine haben seit März 2020 vielfach Verantwortung übernommen. Sie haben Einschränkungen, Sportverbote und Corona-Verordnungen verantwortungsbewusst und vorbildlich umgesetzt, Einkaufs- und Nachbarschaftshilfen organisiert, digitale Bewegungsangebote für ihre Mitglieder während des Lockdowns ausgebaut und nach dessen Beendigung professionelle Hygienekonzepte zum Wiedereinstieg in den Sportbetrieb entwickelt. Damit sind nun auch wieder die so wichtigen Gemeinschaftserlebnisse im Vereinssport möglich. Sie sind unabdingbar für die Funktion der Sportvereine als Impulsgeber und Motor für Gesundheit, Leistungsförderung, Bildung, Integration und Inklusion.
Viele Aktivitäten sind vorübergehend digitalisiert worden und für die Umsetzung vor Ort gibt es unzählige kreative Lösungen und ein enormes Engagement der Verantwortungsträger*innen, ohne jeweils sofort nach öffentlicher Hilfe zu rufen. Vielen Mitgliedern in Sportvereinen ist durch das vorübergehende Verbot die Bedeutung des Sports in der Gemeinschaft und der Stellenwert für das eigene Leben noch präsenter geworden. Ohne Sport und Bewegung im Verein fehlt vielen Menschen ein großes Stück Lebensqualität.
Bei der Diskussion über Corona-bedingte Einschränkungen des Sportbetriebs werden zu häufig die gesundheitsfördernden Wirkungen der Bewegungs-, Spiel- und Sportangebote der Vereine übersehen. Eine gute allgemeine körperliche Fitness und die positiven psychosozialen Wirkun-gen von Sport in der Vereinsgemeinschaft stärken das Immunsystem. Sie können damit erstens gegen Infektionen vorbeugen und zweitens zu leichteren Verläufen von Infektionen beitragen. Damit leisten sie auch einen wertvollen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems und damit den Kosten für die Gesellschaft.
Sportvereine benötigen trotz Ehrenamtlichkeit besondere öffentliche Unterstützung
Sportvereine haben sich in der Coronapandemie als anpassungsfähige und robuste Organisatio-nen erwiesen und damit erneut entsprechende wissenschaftliche Befunde der letzten Jahre bestätigt. Das gilt besonders für die zahlreichen kleinen Vereine. Sie sind überwiegend ehren-amtlich getragen, bauen auf das Solidaritäts- und Mitgliedschaftsprinzip und nicht auf schnelllebige Kundenbeziehungen.
Allerdings bleiben die unterjährigen Mitgliedereintritte zum Ausgleich der üblichen Fluktuation derzeit aus. Die sich andeutenden Mitgliederrückgänge (Schätzungen schwanken zwischen 5 und 15 Prozent) werden die finanzielle Basis des Vereinssports und die Finanzierung der Sportbünde und -verbände schwächen. Wir sind überzeugt, dass die meisten Sportvereine diese Entwicklung mittelfristig kompensieren werden. Aber in der aktuellen Situation benötigen sie unabdingbar zusätzliche öffentliche Unterstützung, mittelfristig insbesondere zur Aufrechter-haltung der Funktionsfähigkeit, längerfristig zur Mitgliederbindung und -gewinnung. Denn sie sind mit Einnahmenausfällen konfrontiert und Vereine können aufgrund der bislang gesetzlich einge-schränkten Möglichkeit zur Rücklagenbildung nur in geringem Umfang auf Rücklagen zurück-greifen, um die Krise zu bewältigen. Die öffentlichen Hilfen dürfen nicht erst nach vollständiger Auflösung der freien und zweckgebundenen Rücklagen fließen und müssen unbürokratischer gestaltet werden, um das Ehrenamt nicht zusätzlich zu belasten. Zudem bedarf es in den nächsten Jahren finanzieller Hilfen, um gezielt Programme zur Mitgliederbindung und -gewinnung zu initiieren.
Mittelgroße und große Vereine stärker betroffen - Professioneller und semiprofessioneller Sport leiden besonders
Wirtschaftlich besonders hart trifft die Coronapandemie zum einen Vereine mit eigenen Sportanlagen, bezahltem Personal und umfangreichen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, da diese ihre Fixkosten nur bedingt reduzieren können. Das gilt auch für Vereine im semiprofessionellen und professionellen Wettkampfsport. Mit Ausnahme der 1. und 2. Fußball-Bundesliga sind diese wirtschaftlich in hohem Maße von Ticketverkäufen abhängig. Das wird durch die bislang beschlossenen „Coronahilfen Profisport“ des Bundes noch nicht ausreichend berücksichtigt. Hier braucht es eine passgenaue Abstimmung zwischen Bundeshilfen und Hilfen auf Länderebene. Zudem ist eine deutlich unbürokratischere Umsetzung als bislang vorgesehen notwendig. Darüber hinaus sind auch große Vereine mit überwiegend breitensportlichen Angeboten stark betroffen, da sie ein umfangreiches Leistungsportfolio sowie spezielle Anlagen wie zum Beispiel Fitness-Studios vorhalten. Für diese Vereine, die wichtige Innovationstreiber der Sportentwick-lung sind, gibt es bislang kaum passgenaue Hilfen, um z.B. ihre Verluste im Bereich präventiver und rehabilitativer Sportangebote abzudecken.
Wirtschaftliche Schäden drohen
Immense Folgen drohen im wirtschaftlichen Bereich der Vereine über alle Ebenen. Gewohnte Einnahmen fallen in vielfältiger Form weg: Ohne Sommerfeste, Wettkämpfe mit Zuschauer*innen, Leistungen für Sponsoren, Kursangebote usw. und die damit verbundenen Einnahmen sind viele Angebote der Vereine und Verbände schon jetzt erkennbar schwerlich aufrecht zu erhalten. Mittelfristig sind wichtige Strukturen in ihrer Existenz bedroht und damit ist die weltweit hoch anerkannte Vielfalt der Vereinslandschaft in Deutschland akut gefährdet. Was über Jahrzehnte aufgebaut worden ist, droht in Teilbereichen in relativ kurzer Zeit dem Virus zum Opfer zu fallen. Ob und wie lange die Vereinsmitglieder diese deutlichen Einschränkungen über einen längeren Zeitraum in Kauf nehmen, wird sich bei der Entwicklung der Mitgliederzahlen Ende des Jahres 2020 und in den Folgejahren zeigen. Dies gilt neben den Mitgliedern in noch stärkerem Maße für die Ehrenamtlichen, von denen viele seit Wochen und Monaten im Ausnahmezustand für ihre Vereine unterwegs sind. Sie kämpfen an der Basis um das Überleben ihres Vereins, versuchen die zahlreichen Aktivitäten unter Einhaltung der besonderen Pandemie-Bedingungen zu ermöglichen und sind in der Flut von Genehmigungen, Verordnungen sowie der damit verbundenen Antragsbürokratie gefangen. Jetzt gilt es das Ehrenamt zu stärken, um Frustrationen entgegenzuwirken.
Kommunale Sportanlagen müssen wieder uneingeschränkt zur Verfügung stehen
Qualitative Schäden im Bereich der Sportentwicklung in Deutschland werden durch die Pandemie-Folgen über die Mitgliederentwicklung und das Ehrenamt hinaus u. a. auch in den Bereichen Sportstätteninfrastruktur, Nachwuchsgewinnung und Leistungssport sichtbar. Sporthallen stehen vielerorts leer auf Grund fehlender Hygienekonzepte, mangelnder Belüftungsmöglichkeiten bzw. einer komplizierten Umsetzung der Coronaverordnungen. Schulsporthallen werden als „Ausweichräume“ für schulische und andere z.B. kommunalpolitische Sitzungen und Aktivitäten zweckentfremdet und stehen daher nicht für Bewegungsangebote zur Verfügung. Diese Praxis sollte eine eng begrenzte Ausnahme bleiben. In der Krise treten zudem die Folgen des jahr-zehntealten Sanierungsstaus bei den Sportstätten umso schmerzlicher zu Tage. Wichtigster Partner der Sportvereine sind die Kommunen als Deutschlands größter Sportstätteneigentümer. Viele Kommunen haben den Vereinen vor Ort unbürokratisch beim Wiedereinstieg geholfen. Wir appellieren an die Gemeinden, Städte und Landkreise, hier einheitliche und nachvollziehbare Bewertungsmaßstäbe zu vereinbaren und wo immer möglich, Sportstätten zeitnah wieder uneingeschränkt für den Schulsport und den Vereinssport zur Verfügung zu stellen.
Bundeseinheitlichen Wettkampfbetrieb ermöglichen
Ein bundesweit einheitlich geöffneter Wettkampfbetrieb von der lokalen bis zur Bundesebene ist für den Vereinssport unerlässlich. Er hat für die Motivation an der lokalen Vereinsbasis gleichermaßen Bedeutung wie für die bundesweiten oder teilweise auch länderübergreifenden Ligen und ist Basis für die durchgängige Leistungssportförderung von der Talentsuche bis zur internationalen Spitze. Es ist deswegen besonders wichtig, dass der aktuell bestehende Flickenteppich von Schutzverordnungen der Länder in eine einheitliche Linie überführt bzw. harmonisiert wird. Wir wissen, dass anlassbezogen lokale/regionale Sperrungen möglich sein müssen. Hierzu werden wir partnerschaftlich Lösungen durch Verlegung von Wettkampf- und Spielansetzungen finden. Gleichwohl gibt es keinen Grund für grundsätzlich unterschiedliche Vorschriften für den Wettkampfsport in den Bundesländern.
Der organisierte Sport muss gestärkt werden
Um die Chancen des Sports in Zeiten der Pandemie und für die Zeit danach zu stärken und die wachsenden Risiken einzudämmen, fordern die Konferenz der Landessportbünde und der DOSB daher die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene auf, die wertvollen Leistungen des Sports für unsere Gesellschaft durch die genannten Maßnahmen noch besser zu schützen und damit nachhaltig zu sichern.
Setzen Sie auf die wertvollen Fähigkeiten des Sports, sich selbst zu organisieren und sich diszipliniert an die Regeln zu halten, um die Fähigkeiten zur Selbsthilfe zu stärken!
Anmerkung:
Diese Erklärung wurde von der Konferenz ausgehend von den Landessportbünden und dem DOSB unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen in der Zwischenzeit erstellt.